#1: Ist es okay, kein Kind zu bekommen? (Teil 1)

Die meisten würden vermutlich spontan antworten „Muss doch jeder für sich selber wissen!“ Leider spiegelt sich diese Antwort im Verhalten der Gesellschaft meines Erachtens nicht so oft wider. Wille und Fähigkeit zur Reproduktion scheinen unterschwellig vorausgesetzt zu werden und das kann einen ebenso unterschwelligen, aber enormen Druck auslösen.

Teil 1: Die Kinderfrage in der Partykommunikation

Eine Party. Eine Veranstaltung in der Freizeit, die die Meisten besuchen, um eine gute Zeit zu erleben und nette Menschen zu treffen. Wenn man nicht gerade von jemandem vorgestellt wird, tut man das selber oder wird nach seinem Namen gefragt. Unter den Top 3 der Fragen, die dann folgen, ist ab einem gewissen Alter fast unverzichtbar „Hast Du/ haben Sie (auch) Kinder?“ Sage ich einfach nur „Nein“, so folgt oft Stille. Wenn ich Lust habe, bin ich dann höflich und finde ein anderes Thema. Habe aber auch schon erlebt, daß mein Gegenüber die Stille nicht aushält und sich eiligst aus dem Gespräch flüchtet. Alternativ zur Flucht kommt gerne auch mal die Aussage „Du hast ja noch Zeit.“ Dann folgt wieder Stille, dann bin ich nämlich sprachlos! Und das bin ich stellvertretend für alle ohne Kinder. Wozu hat (ganz unabhängig vom Alter) jemand „noch Zeit“, der keine Kinder hat? Der Norm gerecht zu werden? Fruchtbar zu werden, falls Unfruchtbarkeit der Auslöser ist? Hetero zu werden, falls man gleichgeschlechtlich orientiert ist oder zumindest, sich ein Land zu suchen, in dem die Gesetze den Nachwuchs trotzdem möglich machen? Den Kinderwunsch in sich zu finden oder zu erzwingen? Die Aussage impliziert nämlich nicht, dass die Frage ist, ob ein Kind überhaupt gewünscht ist; die Aussage impliziert, dass es lediglich eine Frage des Zeitpunktes sei, wann das Kind kommen soll. Liebe Gesprächspartner, so funktioniert das nicht – nicht für jede(n)!
Auch, wenn der Hinweis auf die Zeit ausbleibt: Das „Nein“, egal in welcher Stimmung und in welchem Satzzusammenhang ausgesprochen, trägt normalerweise nicht gerade zum unbeschwerten weiteren Gesprächsverlauf bei, denn oft genug muß ich mir im nächsten Moment die Ohren zuhalten, da die Schublade, in die ich gesteckt werde, mit einem lauten „Rumms“ zugestoßen wird. Das Label der Schublade lässt sich leicht in Erfahrung bringen: Menschen ohne Kinder sind Egoisten. Hedonisten. Im Falle von Frauen auch gerne mal karrierebesessen. Falls sie Tiere haben, kriegen die auch gleich ein Label: Ersatzkinder.

Wieso habe ich das Gefühl, das Kinderlose nicht einmal halb so oft den Drang haben, Leute mit Kindern derart vorzuverurteilen? Und warum ist es so gut wie nie eine leise und entspannt schließende Schublade (wenn es schon überhaupt eine Schublade sein muss) die heißt „Achso, Sie haben keine Kinder. Ja, kann ja jeder für sich entscheiden.“ Wie ein Bekannter mal sagte „Weißt Du, Dein Leben lang sagen alle, Vanilleeis ist lecker. Du magst aber Schokoladeneis.“ Manchmal ist das tatsächlich so einfach. Auch, wenn es nicht der Norm entspricht. Manche wollen Kinder, andere nicht. Das ist völlig in Ordnung. Aber manche können eben auch nicht und insbesondere, wenn bei denen der Wunsch stark ausgeprägt ist, braucht es Zeit und Raum, das zu verarbeiten. Und auch das ist völlig in Ordnung.

Ich bin gegen die Kinderfrage als Auftakt in ein Partygespräch

Mir ist schon klar, dass jeder gerne über das spricht, was ihn beschäftigt und bei ihm gerade aktuell ist. Mir ist auch klar, dass für Leute mit Kindern die Kinder aktuell sind. Für Hundebesitzer sind ja auch die Hunde aktuell. Dennoch habe ich noch nie erlebt, daß ich am Anfang eines Gesprächs gefragt werde „Haben Sie auch einen Hund?“ Ich wurde auch noch nie gefragt „Haben Sie auch Diabetes?“ Ich könnte mir vorstellen, dass das für Leute mit Diabetes insbesondere bei einem Empfang mit zauberhaftem Buffet bestimmt hochaktuell ist. Es könnte also über 1000 Dinge geben, die man fragen und über die man sprechen kann.

Jeder sollte die Wahl haben, was und wieviel er von sich mitteilen möchte

Idee: Warum nicht einfach mal dem Gegenüber die Wahl des Gesprächsthemas überlassen?! Nächstes Mal werde ich die erste Frage stellen: „Wofür können Sie sich am meisten begeistern, so dass Sie den ganzen Tag darüber sprechen könnten?“ Damit gebe ich die Wahl, eine oberflächliche Antwort zu geben (das Wetter!) oder in ein persönliches Gespräch einzutauchen. Meine Vermutung ist, dass ich dann die Chance habe, etwas  Neues zu lernen, z.B. über ein mir unbekanntes Hobby, ein empfehlenswertes Buch, über ein Land, das ich noch nicht bereist habe, über die beste Möglichkeit Schmorgurken zuzubereiten, darüber, wie herausfordernd es ist, ein Buch zu schreiben oder selber einen Gartenzaun zu schweißen. Vielleicht erfahre ich auch, wie fantastisch es ist, einen Hund zu haben, oder das ein großzügiger kulinarischer Genuss bei richtiger Vorbereitung auch für Diabetiker kein Problem ist. Vielleicht will auch jemand über seine Kinder sprechen. Die Themenvielfalt ist endlos und ich habe dann meinerseits die Wahl, ob ich auf das jeweilige Thema Lust habe oder nicht. Ich bin sicher, dass wenn ich mich auf das vorgeschlagene Sujet einlasse, wir die Ebene des Smalltalks innerhalb weniger Momente verlassen und ein persönliches Gespräch über etwas führen können, das unabhängig von Norm und gesellschaftlicher Erwartungen etwas ist, das mein Gegenüber erfüllt. Und das ist ein wichtiges Detail: Gespräche über persönlich Bedeutsames können sehr erfüllend für beide Seiten sein.  Aber die Schwelle zum Privaten, die kann und darf aus meiner Sicht erst überschritten werden, wenn ein ausreichendes Vertrauensverhältnis besteht. Und das betrifft zweifelsohne die an andere gerichtete Kinderfrage, denn hinter einem beileibe nicht geringen Teil der Kinderlosigkeiten steht oft ein grenzenloser Schmerz und eine ungeheure Leidensgeschichte, die weder schnell erzählt ist, noch den richtigen Stoff fürs Kennenlernen bei einer Party darstellt.

Was mir an der komplett offenen Fragestellung gefällt ist, dass mein Gegenüber dann entscheiden kann, was und wieviel er von sich mitteilen möchte. Bei jedwelcher Vorauswahl eines Themas muss ich sonst damit rechnen, dass ich im Fettnäpfchen lande. Zum Beispiel die zwar offene (aber wie ich persönlich finde, unmögliche) allzu übliche Frage „Und, was machen Sie so!“ trifft dann einen empfindlichen Nerv, wenn jemand gerade seine Firma verloren hat oder im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber steht. Der Sportler, der das Karriereende in Form eines Gipsverbandes am Bein trägt, wird sensibel auf die gutgelaunte Frage reagieren „Ach herrje, was haben Sie denn gemacht?“

Dieser Ansatz verlangt Offenheit, Achtsamkeit und Feingefühl aber ich glaube, dass es nicht nur Kinderlosen zu mehr Spaß und Freude an gesellschaftlichen Anlässen verhelfen kann, wenn das Themenspektrum auf begeisternde Themen aller Art erweitert wird und jeder für sich entscheiden darf, über welches Thema er wieviel sprechen möchte.

2 Kommentare zu „#1: Ist es okay, kein Kind zu bekommen? (Teil 1)“

  1. Mega!!! Ich gratuliere Dir zu Deinem Artikel. Der ist großartig und sehr gelungen. Ich empfehle diesen bei LinkedIn unter Artikel einzustellen. So verändert sich Dein Ranking bei google. Ist gut fürs Business. Herzliche Grüße, Deine Marion.

    P.S. ich antworte auf diese Frage manchmal knallhart „Ich kann keine Kinder bekommen.“ Dann bestimme ich ein neues Thema.

  2. Hi Mira, der Artikel ist wirklich toll und witzig geschrieben . Ich habe mich auch schon oft gefragt, warum man sich eigentlich dafür rechtfertigen muss, wenn man keine Kinder hat. Es fragt ja tatsächlich nie jemand „Und, warum hast Du Kinder?“ Ich antworte meistens: „Nö, und ich wollte auch nie welche“ Was in meinem Fall der Wahrheit entspricht und daher auch leicht sagen lässt… Glücklicherweise erledigt sich die Frage „Wann bekommt ihr denn (endlich) Kinder?“ irgendwann von selbst. Ich mag Kinder gerne, wir fahren auch oft mit Freunden mit Kindern gemeinsam in den Urlaub. Aber genauso gerne mag ich es, wenn wir wieder unser „kinderloses“ Leben zu Zweit genießen können . Liebe Grüße, Anne

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